Stefan Mitlöhner

Von Wilhelm Patschovsky

Zu den besuchtesten und schönsten Gebirgspartien im Riesengebirge gehört das Tal der Grossen Aupa: vom Platz in Marschendorf IV Teil angefangen durch den Engpass des Dunkeltales, welches geheimnisvoller Dämmerschein erfüllt und in welchem sich in das leise Rauschen der emporstrebenden Fichtenkronen das mächtige Getöse der wildbrausenden Aupa mischt, das in der Stille des Thales verstärkt erscheint und das an den Waldlehnen, welche zu beiden Seiten des Flusses schroff emporstreben, widerhallt - durch das herrliche Tal von Gross-Aupa, dessen belebter Dorfteil uns nach Austritt aus dem einsamen Dunkeltale wieder in das Getriebe der Welt zurückversetzt, dessen malerisch an den hohen Talhängen zerstreut liegende Baudengruppen uns eine reizende Alpenszenerie vor Augen führen – durch den großartigen Riesen- und Aupagrund, das größte ehemalige Gletscherbett und die imposanteste und herrlichste Gebirgsschlucht unseres Riesengebirges bis hinauf zur Riesenbaude, die am obersten Steilrande des wildromantischen Aupakessels steht und in welcher wir zu erquickender Rast einkehren.

Vor etwa 50 Jahren war eine Fahrt durch das Aupatal unmöglich und eine Wanderung durch das selbe sehr mühselig; der Aufstieg durch den Riesen- und Aupagrund aber war äußerst beschwert, ja sogar gefahrvoll. Daher wurde dieser Gebirgsteil von Fremden gemieden und die Schönheiten desselben blieben weiteren Kreisen unbekannt.

Nur Wenigen dürfte es bekannt sein, dass der ehemalige Kaufmann Stefan Mitlöhner in Gross-Aupa sich hier als ein Vorkämpfer des R.-G.-V. erwies, indem er den Bau der ersten Straße von Marschendorf bis Gross-Aupa anregte und kräftig förderte und dadurch dies Tal dem Verkehr und der Touristik erschloss, indem er ferner einen bequemen Weg auf der gefahrvollsten und beschwertesten Strecke des Riesen- und Aupagrundes, nämlich von der Bergschmiede bis zur Riesenbaude, anlegte und indem er auch das gastliche Heim der Riesenbaude ins Leben rief.

Da selbst den bloßen Namen dieses verdienstvollen Mannes nur Wenige kennen, dürfte ein Näheres über seine Lebensschicksale wohl ziemlich unbekannt sein. Wie könnten wir aber das Andenken Mitlöhners besser ehren, als wenn wir dessen Leben und Wirken der Vergessenheit entreißen, indem hier sein Lebensgang, der uns seine Verdienste erst im rechten Licht erscheinen lässt, der Öffentlichkeit übergeben wird, auf dass er Gemeingut aller Freunde des Riesengebirges werde und allzeit bleibe.

Stefan Mitlöhner wurde am 14. März 1780 in Gross-Aupa I. Teil geboren, woselbst sein Vater Joseph Gottfried Mitlöhner, der wohl reich an Kindersegen, aber arm an irdischen Glücksgütern war, eine Häuslerstelle besaß. Gross-Aupa befand sich damals noch im Urzustande; es war ein gar armseliges, von allem Verkehr abgeschlossenes Gebirgsdorf, das weder eine passierbare Straße, noch eine Schule besaß. Der Ort war nach Marschendorf eingepfarrt, woselbst denn auch Stephan Mitlöhner getauft wurde. Eine eigene Kirche erhielt Gross-Aupa erst im Jahre 1788 auf Anordnung Kaiser Joseph II., der 1779 diese Gebirgsgegend besuchte und befahl, aus dem Religionsfonds hierselbst eine Kirche zu erbauen. Die geistigen Fähigkeiten des zum schulpflichtigen Alter herangewachsenen talentvollen Knaben konnten aber nicht gehörig entwickelt werden, denn Gross-Aupa erhielt erst in späterer Zeit eine Schule und der durch die Ungunst der Witterung und die Unwegsamkeit des Ortes oft unterbrochene Unterricht wurde zu jener Zeit von einer ambulanten Lehrkraft erteilt, welche von Haus zu Haus ging und dort ihr geringes Wissen lehrte.

Am 20. November 1803 vermählte sich Stefan Mitlöhner mit Gertrud Richter, ehelichen Tochter des Gemeindevorstehers Benjamin Richter in Gross-Aupa III. Teil, welcher Ehe eine Tochter, Namens Genovefa, spätere verehelichte Dix (gestorben 28. August 1885) entstammte. Zu Anfang dieses Jahrhunderts besaß Gross-Aupa nun auch eine Schule. Mitlöhner empfand es schmerzlich, während seiner Kinderjahre nicht die Kenntnisse erlangt zu haben, die jeder gebildete Mensch sich erwerben muss. Um in den Besitz derselben zu gelangen und seine Missbegierde zu sättigen, genierte er sich nicht, mit Hintansetzung aller Vorurteile, als jung verheirateter Mann sich nochmals auf die Schulbank zu setzen, auf der er einen Eifer und Fleiß entwickelte, wie dieser in solch einem Alter nur selten zu finden ist. Nachdem er, und zwar nicht ohne bedeutenden Erfolg, die Schule eine Zeit lang besucht hatte, wandte er alle Aufmerksamkeit seinem Hauswesen und dem öffentlichen Gemeindeleben zu. Letzteres aber war trauriger Art. Noch immer entbehrte der Ort einer fahrbaren Straße, die ihn mit der Außenwelt verband und die irgend einen Geschäftszweig in das abgeschlossene Gebirgsdorf geleitet hätte. In Gross-Aupa waren nicht einmal die notwendigsten Gebrauchsgegenstände zu bekommen; sie mussten in Marschendorf geholt werden. Bis dorthin wurden auch größere Frachtstücke gefahren, die alsdann auf dem Rücken bis Gross-Aupa getragen werden mussten. So beschwert und kostspielig die Anschaffung der Lebensbedürfnisse hier zu damaliger Zeit war, ebenso mühsam und gefahrvoll war der Verkauf der einzigen Erzeugnisse: Butter und Käse, deren Absatz aus Mangel an den erforderlichen Verkehrswegen nur gering war. Mit schwerbepackter Hucke auf dem Rücken überstiegen die erwachsenen, männlichen Personen den hohen, unwegsamen Gebirgskamm, um die heimatlichen Erzeugnisse in dem zwei Meilen entfernten Hohenelbe für einen geringen Preis zu verkaufen. Welch entsetzliche Gefahren für Gesundheit und Leben hatten nicht selten im Winter diese Männer, welche doch von Jugend auf durch körperliche Strapazen verschiedener Art ihren Mut genugsam erprobt hatten, zu überwinden! Mit welch banger Angst harrte daheim tagelang das besorgte Weib auf die Rückkehr des Gatten, wie sehr sehnten sich die hungernden Kinder nach der Heimkehr des Vaters, der vielleicht draußen in der Einöde des Gebirges mit den empörten Elementen kämpfte!

Den im besten Mannesalter stehenden Mitlöhner, welcher ebenfalls im Kampfe mit der Ungunst der örtlichen Erwerbs-, Terrain- und Witterungsverhältnisse Körper und Geist gestählt hatte und die Entbehrungen, Beschwerden, Mühen und Gefahren der dortigen Gebirgsbevölkerung aus eigener Erfahrung kannte, erfüllte nur ein Wunsch, nämlich der, sich dem Wohle der armen Gemeinde widmen und deren hartes Los mildern zu können. Sein scharfblickender Geist erkannte, dass dem Orte noch eine Zukunft bevorstand; und als sich später vieles so gestaltete, wie er vorhergesagt hatte, meinten einige Ortsinsassen, er stehe mit dem Teufel in Verbindung u. s. w. Um den Bewohnern Gross-Aupa´s ihr mühevolles Leben und den Absatz ihrer Erzeugnisse zu erleichtern, errichtete Mitlöhner am Orte die erste Handelsstelle mit Butter und Käse. Keine Mühen und Kosten scheuend, setzte er dabei in selbstlosester Weise sein ganzes Vermögen aufs Spiel. Sein Bemühen war mit Erfolg gekrönt, denn es gelang ihm, den Handel mit diesen heimischen Produkten selbst bis Prag, Berlin und Hamburg auszudehnen. Obgleich der wohltätige Einfluss dieses Unternehmens deutlich zu Tage trat, fehlte es aber auch nicht an Leuten, welche Mitlöhner anfeindeten und diese Verlaufstelle für schädlich hielten.

Mitlöhners praktischer Blick ließ ihn zur Überzeugung gelangen, dass ein Aufschwung Gross-Aupa´s aber nur möglich sei, wenn der Ort durch eine fahrbare Straße mit Marschendorf verbunden werde. Diese herrliche Idee verschaffte ihm aber neue Anfeindungen und Verdächtigungen. Gar viele sträubten sich gewaltig gegen die Ausführung dieses Gedankens und nur einige einsichtsvolle Männer teilten seine Ansicht. Da musste nun Mitlöhner gar vorsichtig zu Werke gehen, sollte dieses sein Lieblingsprojekt nicht an dem Unverstande derer, welche eine Straße für schadenbringend hielten, scheitern. Mit Aufbietung aller ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit, wirkte er auf die ortseingesessenen Männer so lange ein, bis eine genügende Anzahl derselben sein Vorhaben unterstützte. Als dies der Fall war, wurde mit dem Straßenbau begonnen. Mitlöhner scheute keine Auslagen und zahlte Vorschüsse, bis endlich das Werk gelungen war. Jetzt brachte man alle Gebrauchsartikel bis ins Dorf; jetzt wurden die Erzeugnisse des Ortes in diesem selbst verkauft und zwar zu viel besseren Preisen, als dies früher der Fall war; jetzt hatten für die Bewohner die gefahrvollen Transporte und die damit verbundenen Ängsten der Familien ihr Ende erreicht; kurz: Gross-Aupa´s Zukunft war gesichert und der Grundstein zu seiner jetzigen Wohlhabenheit gelegt. Mitlöhner konnte mit Recht sagen: das ist mein Werk! und er freute sich des vollendeten und gelungenen Werkes und vergaß dabei die vielen kummervollen Stunden, die er sich dadurch bereitet hatte.

Welch hohen Genuss hat nicht Mitlöhner dadurch, dass er die Herstellung dieser Straße anregte und durchführte, somit also die herrliche Gebirgslandschaft der Touristik erschloss und den Strom der Riesengebirgsbesucher in dies Tal lenkte, den vielen Tausenden Lustreisender eröffnet! Welch hoher Nutzen erwächst nicht aus dem Fremdenbesuch für Gross-Aupa!

In seiner Uneigennützigkeit überließ Mitlöhner später den anderen Ortsbewohnern den Handel mit Butter und Käse, den er bisher geleitet hatte, und unterwies dieselben in der Handhabung der Handelsgeschäfte. So leitete er Betriebsamkeit und Wohlstand in die verschiedenen Häuser seines Heimatortes.

1820 errichtete Mitlöhner in Gross-Aupa einen Spezerei- und Lederhandel und betrieb auf Grund solider Geschäftsprinzipien ein lebhaftes Geschäft. Doch hatte er hierbei, da er in seiner Herzensgüte manchem zu viel auf Treu und Glauben vertraute, bedeutende Verluste zu beklagen.

Strenge Unparteilichkeit, Unerschrockenheit und Gerechtigkeitsliebe waren Charaktereigenschaften, von denen er sich durch nichts abwendig machen ließ. Dies war auch der Fall, als er in den Jahren 1835 bis 1841 in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gemeindeausschusses von Gross-Aupa gegen die obrigkeitliche Herrschaft zu Marschendorf mit Energie einen Prozess führte, den er auch zum Wohle seiner Gemeinde gewann. Hierdurch hatte er sich freilich die Marschendorfer Herrschaft zum Feinde gemacht, und dieselbe ließ es ihm, wo es nur anging, entgelten, wobei sie von Mitlöhners Neidern kräftigst unterstütz wurde. Wohl schmerzte den Mann, dessen Streben und Wirken einzig dahin gerichtet war, das Wohl seines Geburtsortes zu fördern, dieses Gebaren, aber dennoch ließ er sich nicht entmutigen, sein Humanitätswerk fortzusetzen.

Im Jahre 1841 sollte Mitlöhner einen harten Schlag des Schicksals erfahren, denn am 31. Januar des genannten Jahres stand er am Sterbebett seiner Gattin Gertrud, welche sich mit ihm eins fühlte in seinen Humanitätsbestrebungen und welche im trauten Heim die Kummerwolken, die bisweilen seine Stirn beschatteten, verscheuchte.

Sein rastloser Geist drängte ihn zu neuen Unternehmungen. So erbaute er in der Nähe der Kirche 1841 / 42 das Haus Nr. 104 (jetzt 67), den heutigen Felsenkeller, in das er sein Kaufmannsgeschäft verlegte. Außerdem errichtete er darin einen Weinschank, zu welchem Zwecke das Haus auch über Weinstuben und einen großen Saal verfügte. Ferner bot das Gebäude noch für eine Fleischerei genügend Raum.

Ein so umfangreiches Geschäft erforderte aber auch eine tüchtige Hausfrau. Als solche und als Gattin führte Mitlöhner, im Alter von 62 Jahren, am 04. Februar 1842, Regina Dix, die 21jährige Tochter des Bäckermeisters Johann Dix in Gross-Aupa, in das neue Heim und mit  ihr einen Schatz von Lebensglück, den Segen und die Stütze seines Alters. Dieser Ehe entsprossen drei Töchter und ein Sohn, welch letzterer aber im zarten Kindesalter starb.

Im Jahre 1846 waren im Gebirge und ringsherum im Lande die Kartoffeln gänzlich missraten. Es fehlte also den armen Gebirgsbewohnern das ihnen unentbehrlichste Nahrungsmittel und infolge dieses Misswachses entstand eine große Teuerung. Entbehrungen und Hunger hatten jetzt in den Hütten der Gebirgsbevölkerung ihren Einzug gehalten, denn es fehlte an lohnendem Verdienst. Mitlöhner, welcher in seinem tieffühlenden Herzen die Not und das Elend der Bevölkerung des Aupatales mit Schmerz empfand, sann nach einem Mittel, durch das den armen Leuten ein lohnender Verdienst verschafft und somit deren Kummer gemildert werden könne. Das Mittel war bald gefunden. Bis zur Bergschmiede führte wohl von Petzer aus ein Weg, aber von letzterer über den Kiesberg bis zum Koppenplan, also auf dem schwierigsten und gefahrvollsten Terrain des Riesen- und Aupagrundes, fehlte als bequeme Verbindung ein gangbarer Weg. Diesen wollte Mitlöhner auf seine Kosten bauen und somit den darbenden Heimatleuten zu Beschäftigung und Verdienst helfen. Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit, mit welcher er alle seine Ideen verwirklichte, begann er, alle Hindernisse überwindend, das äußerst schwierige und kostspielige Werk, zu dem er gemäß obrigkeitlichen Bescheides am 12. September 1846 die Bewilligung erhielt. Im Teuerungsjahre 1847 wurde also auf der vorgenannten Strecke der „grossaupner Schneekoppensteig“ mit einem Kostenaufwande von 1000 fl. Erbaut. Mitlöhner ließ diesen Weg anlegen, weil er schon längst beabsichtigte, auf dem Koppenplane eine Baude zu errichten, wohin er im Sommer seinen Viehstand aus dem Thale zu treiben gedachte, um die Weiden auf dem Koppenplane auszunützen. Später sollte daselbst auch ein Gasthaus entstehen, in welchem die Besucher des Hochgebirges Unterkunft finden konnten und in welchem ein Pächter für die erforderliche Verpflegung sorgen sollte. Zu damaliger Zeit waren nämlich auf dem südöstlichen Teile des Hochgebirges die Gasthausverhältnisse noch sehr mangelhaft, denn auf der Schneekoppe stand nur die Kapelle (das erste Gasthaus auf der Koppe wurde erst im Jahre 1850 erbaut), in deren äußerst beschränkten Räumen Siebenhaar die Gastwirtschaft ausübte. Da alljährlich zu den drei Koppenfesten, an Mariä Heimsuchung (02. Juli), Mariä Himmelfahrt (15. August) und Mariä Geburt (08. September [1] ) besonders aus Böhmen eine große Menge Volkes auf die Schneekoppe wallfahrtete, reichten diese Räume bei weitem nicht aus und waren nicht im Stande, bei plötzlich eintretender ungünstiger Witterung den vielen Koppenbesuchern genügenden Schutz zu bieten. Zudem waren diese Wallfahrer gewohnt, den Schluss der Feste mit Tanz und einem guten Trunk zu feiern. Diesen Bedürfnissen sollte vorerst die neue Baude abhelfen. Noch in demselben Jahre, in welchem der grossaupner Koppensteig fertiggestellt worden war, also im Jahre 1847, erbaute Mitlöhner auf dem Koppenplane einen Stall für sein auf dem Hochgebirge weidendes Vieh und verband mit diesem Gebäude vorläufig eine Marketenderbude.

Laut des am 29. März 1847 in der Amtskanzlei zu Marschendorf aufgenommenen und am 23. April desselben Jahres durch die Grafen Aichelburg senior und junior auf Schloss Bělohrad bestätigten Vertrages erhielt Mitlöhner die Erlaubnis zum "Aufbau einer sogenannten Sommerbaude von hölzernen Schrotwänden zur Viehhaltung daselbst über Sommerszeit und zum Besten des Allgemeinen und besonders der die Schneekoppe besuchenden, damit in deren Nähe eine Art Unterkunft und Witterungsschutz, dann Milch, Schmetten, Butter und Käseerfrischungen zu haben sei." An diese Bewilligung waren aber gewisse Bedingungen geknüpft, von denen die, dass auf Wunsch der Herrschaft Marschendorf der derzeitige Besitzer der Baude diese auf seine Kosten abtragen und ganz demolieren musste, die wichtigste war. - Bald nach erhaltener Genehmigung begann Mitlöhner mit dem Bau der 1383 m über dem Meeresspiegel, am Fuße des Koppenkegels gelegenen Baude, welche aber erst im folgenden Jahre (1848) dem Verkehr übergeben wurde und die ein für die damaligen Zeitverhältnisse und die dortigen örtlichen Verhältnisse gar stattlicher und geräumiger Bau war, der die bedeutende Bausumme von 4000 fl. erforderte. Die Herstellung dieses Gebäudes ging deshalb nur langsam vonstatten, weil die Herbeischaffung des Baumaterials ungemein beschwert war. Der Kalk und die gezimmerten Balken wurden mit Pferden aus dem Riesengrunde zur Baustelle geschafft; die Schindeln aber mussten auf dem Rücken, die Bretter hingegen auf dem Kopfe aus St. Peter durch den Langengrund heraufgetragen werden. Zum Transport der Bretter bedienten sich die Träger sogenannter Kopfhucken. Diese bestehen aus einem mit Heu gepolsterten und mit Leinwand umschlungenen Ringe oder Reifen, der auf dem Kopf gesetzt wurde und auf den man alsdann die zusammengebundenen Bretter legte.

Auch durch die Herstellung des grossaupner Koppensteiges und durch die Erbauung eines auf dem Koppenplane so notwendigen Gasthauses wirkte Mitlöhner ganz im Sinne des R.G.V.

Diese neue Sommerbaude, welche den Namen Riesenbaude erhielt, wurde der Gemeinde Gross-Aupa III. Teil mit der Haus-Nummer 554 zugeteilt. Die Gastwirtschaft derselben war anfangs verpachtet. Der erste Pächter, der Richter hieß, versah dieselbe nur den ersten Sommer; der zweite Pächter, Namens Klöbel, aber blieb in der Riesenbaude, bis dieselbe in anderen Besitz überging.

Inzwischen war der hochherzige und im Riesengebirge allverehrte Graf Berthold Aichelburg in den alleinigen Besitz der Herrschaft Marschendorf gelangt. Derselbe gewann die Überzeugung, dass die in dem Vertrage vom 29. März 1847 enthaltene Bedingung, gemäß welcher nach dem Willen der Herrschaft die Riesenbaude niedergerissen werden musste, dem Mitlöhner bezüglich des Eigentumsrechtes große Hindernisse bereiten werde. Geleitet von dem ihm eigenen Edelsinn, hob Graf Berthold laut Vertrag vom 10. Januar 1857 nicht nur diese harte Bestimmung unter Bedingung pünktlicher Zahlung eines Grundzinses auf, sondern wies Mitlöhner noch 200 ٱKlaftern Terrain bei der Riesenbaude zur beliebigen Verwendung zu und stellte ihm auch einige Vergünstigungen, betreffend die Verpachtung der "Heuung" auf dem Hochgebirge in Aussicht. Dieser Vertrag wurde vorläufig auf 6 Jahre und zwar bis Ende Dezember 1862 mit dem Zusatz abgeschlossen, dass Kontrahenten nach Ablauf dieser Frist den Vertrag in zeitgemäßer Form erneuern wollten, was jedoch keinem dieser braven Männer vergönnt war, da beide 1862 bereits das Zeitliche gesegnet hatten.

Im Jahre 1858 erwarb Friedrich Sommer, der nachmalige allbekannte Koppenwirt, die Riesenbaude käuflich, welcher dieselbe von seinen zwei Schwägerinnen, den Witwen Pohl und Kober, bewirtschaften ließ.

Im Jahre 1859 wurde Mitlöhner, der sich stets und selbst auch in seinem Greisenalter einer bewunderungswerten geistigen Frische und körperlichen Rüstigkeit erfreute, von einem herben Geschick heimgesucht, indem er dreimal in verschiedenen Zeitabständen vom Schlage gerührt wurde. Der dritte Schlaganfall war so heftiger Natur, dass er den Tod des Greises herbeiführte. So beschloss Stefan Mitlöhner am 15. August 1859 im Alter von 79 Jahren seine taten- und segensreiche irdische Laufbahn. Seine irdische Hülle wurde auf dem Gottesacker zu Gross-Aupa bestattet.

Noch als hochbetagter Greis wollte der für Naturschönheiten begeisterte Mitlöhner dem Riesengebirge einen Schmuck verschaffen. Er beabsichtigte nämlich, den Aupafall im Aupakessel zu regulieren und mit Steinen zu fassen, zu welchem Behufe er durch Steinmetzen aus Brückenberg Steinblöcke an Ort und Stelle bearbeiten ließ. Durch seinen plötzlich erfolgten Tod gelangte dieses sein letztes und ideales Projekt nicht mehr zur Vollendung. Die anwohnende Bevölkerung betrachtete die schon fertig gestellten, behauenen Steine als herrenloses Gut und holte dieselben als willkommenes Baumaterial hinweg.

Stefan Mitlöhner war, wie wir aus seinem vorstehend mitgeteilten Lebenslaufe bereits ersehen haben, ein echter Biedermann, wahr und einfach, der keine kleinlichen Rücksichten kannte, der ein Herz für seine Heimatsleute hatte, was er durch Wort und Tat auch bestätigt hat. In ihm wohnte bei aller Güte des Herzens ein strenger Sinn für Gerechtigkeit, und sein eifrigstes Bestreben war, reine, selbstlose Humanität zu fördern. Gern tauschte er in Gesellschaft gebildeter Leute seine Gedanken aus, und im Kreise heiterer‚ Menschen belustigte er sich oft und mit Vorliebe durch seine harmlose, schalkhafte Laune und sein für alles Schöne und Erhabene empfänglicher Geist ließ ihm die Naturschönheiten des heimatlichen Gebirges, sowie die Liebe zur Musik zu Quellen lauterster Freunden werden.

Mitlöhners hinterlassene Witwe vermählte sich im Jahre 1860 mit Dr. med. August Werner, welcher durch 39 Jahre in uneigenster Weise unter der armen Gebirgsbevölkerung mit opferwilliger Berufstreue seines schweren Amtes waltete und sich in den fünfziger Jahren als Badearzt von Johannisbad einer allgemeinen Beliebtheit erfreute.

Die Riesenbaude hat besonders in den letzten zwanzig Jahren, in denen grade auf dem Gebiete der Touristik gewaltige Umwälzungen vor sich gingen, manche Veränderungen erfahren. Zur Zufriedenheit der Gebirgsbesucher und des Eigentümers der Riesenbaude, des Koppenwirtes Sommers, walteten gemeinschaftlich die bereits genannten Frauen Pohl und Kober jahrelang ihres Amtes als Wirtinnen und Pächterinnen, bis im Juli des Jahres 1866 die allgemein beliebte Frau Pohl starb. Mit zahlreicher Grabbegleitung, darunter viele Touristen, wurde die Verstorbene auf dem Brückenberger Friedhofe der Kirche Wang beerdigt. Frau Kober war nun alleinige Pächterin der Riesenbaude, bis sie letztere dann im Jahre 1877 von ihrem Schwager Sommer käuflich erwarb. Als Eigentümerin führte sie die Gastwirtschaft in der Riesenbaude bis zu Ende des Jahres 1879, denn am 01. Januar 1880 ging letztere durch Kauf an den jetzigen Besitzer, Adolph Heyn, über, der nun die Bewirtschaftung der Baude übernahm. Frau Kober aber blieb auch ferner noch in der Riesenbaude und zwar bis zu ihrem Tode. Sie starb am 22. November 1884, konnte aber erst sechs Tage später bei furchtbaren Schneesturm und grimmiger Kälte durch zehn der stärksten Männer mit Lebensgefahr hinab nach Brückenberg gebracht werden, woselbst auch sie auf dem Friedhofe der Kirche Wang bestattet wurde.

Unter dem jetzigen Besitzer ist die Riesenbaude fast gänzlich umgebaut worden. Dem von Jahr zu Jahr sich steigernden Touristenverkehr genügten die vorhandenen Räumlichkeiten nicht mehr, so dass sie wiederholt durch bauliche Veränderungen vergrößert werden mussten. In diesem Frühjahre ist sie wiederum um ⅓ erweitert worden, so dass die Baude jetzt die größte von allen Kammbauden sein dürfte.

So hat die Saat, welche Kaufmann Stefan Mitlöhner durch Erschließung des schönen Thales der Grossen Aupa, durch Anlegung des Weges von der Bergschmiede bis auf den Koppenplan und durch Erbauung der Riesenbaude in diesem wundervollen Gebirgsteile ausgestreut hat, die herrlichsten Früchte getragen, und seine Schöpfungen, welche dem Wandel der Zeit getrotzt und sich entsprechend den kulturellen Fortschritten auch weiter entwickelt und vervollkommnet haben, verdienen wohl wieder in die Erinnerung des heutigen Geschlechts gerufen zu werden.


[1] Früher gehörten zu den Koppenfesten auch noch das Trinitatisfest und das Fest des heiligen Laurentius, des Patrons der Kapelle.

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