Welch eine Verunglimpfung eines Geistlichen,
dürfte mancher sagen, der die obere Überschrift liest. Dem ist aber nicht so.
Der, von dem diese Abhandlung erzählt, hatte sich zu Lebzeiten selbst diesen
Ehrentitel beigelegt, da er seine Seelsorge nur in Gebirgsdörfern ausübte, wie:
Spindelmühle, Kleinaupa und bis zu seinem Lebensende in Grossaupa. Es war Dechant
Kröhn aus Grossaupa, der mit einem Großteil des Verdienstes für sich in Anspruch
nehmen kann, dass schon vor der Jahrhundertwende Grossaupa eine Sommerfrische
wurde. Es war noch eine gemütliche Zeit, welche die Segnungen moderner Kulturerrungenschaften
noch nicht kannte. Noch knatterten keine Automobile in rasendem Tempo durch
die Gegend, noch wurden keine atemerstickenden Staubwolken aufgewirbelt, noch
nicht die Luft von Auspuffgasen verpestet. Man ging noch stolz zu Fuß oder fuhr
in einer Kutsche, wenn das nötige Kleingeld vorhanden war. Noch wusste man nichts
von Margarine und Kunstfetten, sondern die Wirtin zur "Post" setzte ihren Gästen
Schnitzel vor, die in reiner Gebirgsbutter ausgebacken waren. Es gab noch keine
Speisekarten mit französischen Brocken, aber was man bekam, war gut zubereitet
und schmackhaft. Dazu hielt man streng auf einen unverfälschten guten Tropfen.
Was Wunder, dass den Gästen aus dem Reiche die österreichische Küche besonders
gut mundete und es nicht zu verwundern war, dass sie sich alljährlich immer
wieder einfanden. Es war zuerst wohl nur eine kleine Gesellschaft, welche in
einem Gastlokal bequem Platz hatte. Mitten unter ihr, die Seele und der Mittelpunkt
der Gesellschaft: Pfarrer Kröhn. Dieser unvergleichliche Mann widmete den Sommergästen
seine freie Zeit zur Gänze. Er rührte sie auf alle Aussichtspunkte und Berggipfel
der näheren und weiteren Umgebung, machte sie mit den Schönheiten des Gebirges
und seines Vorlandes bekannt und unterhielt sie mit seinem trefflichen Humor
auf des köstlichste. Man kann sich das Hallo vorstellen, wenn er nach langer
ermüdender Wanderung aus den unergründlich tiefen Taschen seines Gewandes einen
stärkenden Imbiss und eine Flasche Wein hervorzog und mit den Gästen teilte.
Pfarrer Kröhn hatte schon in seinem früheren Aufenthalte in Spindelmühle die
Bedeutung der Sommerfrischen richtig erkannt und förderte nun unermüdlich mit
Rat und Tat die Entwicklung Grossaupas in diesem Sinne. Er gab den Bewohnern
wertvolle Winke, wie sie ihre Wohnungen für Sommergäste herrichten könnten,
veranlasste sie zum Anbau von Veranden, zur Blumenpflege um die Häuschen, Anschaffung
von Betten und Matratzen und zu mancherlei sonst noch. Die Sommergäste kamen;
sie kamen alljährlich immer wieder in steigender Zahl. Bis hinauf auf die Berge
waren die Wohnungen den ganzen Sommer durch besetzt, und bald las man auch auf
den Giebeln der Häuschen Namen wie: "Waldesruh". "Bergfrieden", "Wiesenheim",
"Hohe Warte" und andere.
Pfarrer Kröhn war urwüchsig in seiner Gestalt wie auch in seiner Ausdrucksweise.
Er war ein Volksgeistlicher im wahrsten Sinne des Wortes, der seiner Gemeinde
ein zwar strenger, aber auch gerechter, loyaler und hilfsbereiter Seelsorger
war. Denkt man nicht unwillkürlich an Hockewanzel, wenn man seine Schwanke vernimmt,
die an Urwüchsigkeit und Originalität nicht gleich ihresgleichen hatten. Seine
Pfarrkinder hingen mit Leib und Seele an ihm und ehrten sein Andenken nach seinem
Tode durch Schaffung einer Dechant-Kröhne-Allee. Auf dem Gedenkstein, der, ihm
zu Ehren, diese Allee krönte, war zu lesen: "Dem unvergeßlichen deutschen Priester".
In der Tat war es eine hervorragende Eigenschaft dieses Pfarrers, dass er sich
jederzeit als Deutscher und Angehöriger seines Volkes fühlte und danach handelte.
Seine Heimat, das Riesengebirge, liebte er über alles und wurde nie müde, die
Schönheiten der heimatlichen Bergwelt den Fremden immer wieder zu schildern
und zu zeigen.
Er war ein Original in jeder Beziehung, und sein Humor und mitunter ziemlich
derber Witz waren weithinaus bekannt. Dabei war er ein Mann von gediegenem Wissen
und sehr belesen. Seine Bücherei führte Werke aller Wissensgebiete, für die
er viel Geld verausgabte. Er war auch viel und weit in der Welt herumgekommen.
Die Kunstschätze Italiens, das er kreuz und quer durchwandert war, hatte er
sich mit offenen Augen angesehen. Sogar nach Jerusalem war er in jüngeren Jahren
gepilgert. Obwohl streng im Glauben, kannte er Unduldsamkeit gegen Andersgläubige
nicht. Die evangelischen Geistlichen, die nach Grossaupa kamen, nannte er seine
lieben Stiefbrüder, und man konnte ihn des öfteren mit solch einem "lieben Stiefbruder"
in angeregtem Gespräch sehen. Die Sommergäste der Großstadt, unter denen sich
des öfteren auch gelehrte Männer befanden, staunten nicht wenig über das große
Wissen dieses Dorfpfarrers, sowie auch über den reichen und wertvollen Bücherschatz,
über den er verfügte. Dabei hatte er die Bücher nicht geordnet in Schränken
und Regalen, sondern durcheinandergewürfelt in einem Zimmer der Pfarrei auf
dem Fußboden herumliegen. Kam aber einmal das Gespräch auf einen Schriftsteller
und sein Werk, oder behauptete gar einer, besser orientiert zu sein als der
Herr Dechant, da griff er nur in dieses Chaos von Büchern hinein, um sofort
das richtige herauszuziehen. Wehe seiner Wirtschafterin Brigitte, wenn sie es
einmal gewagt hätte, in dieses Kunterbunt Ordnung zu bringen. Wahrlich, sage
ich Euch, in diesen heiligen Hallen wäre der Teufel los gewesen. Als sie ihm
einmal den Vorschlag machte, Ordnung zu schaffen, sagte er zu ihr: "Da könnt
man ja nichts mehr finden, wenn du tomme Gons dich darüber machtest, unter meinen
Büchern Ordnung zu schaffen. Du verstehst ja rein nichts von Büchern!" Also
blieben sie weiterhin so liegen, wie sie jahrelang gelegen hatten.
In Gesellschaft war Dechant Kröhn ein gern gesehener Gast, der nie einen Spaß verdarb und des öfteren die ganze Tafelrunde unterhielt.
Eine Merkwürdige Gewohnheit hatte er beim Rauchen. Er zerbrach jede Zigarre,
selbst auch die teuerste, und zündete jede Hälfte gesondert an. Da sprühten
dann die Funken nach allen Seiten das reinste Feuerwerk. Wenn er ins Gasthaus
kam, begann er mit der billigsten Zigarrensorte, die sich im Laufe des Abends
nach einigen paar Gläsern Bier bis zur teuersten fand. Um die mitternächtliche
Stunde rauchte er meist Trabuco, eine für die damalige Zeit kostspielige Angelegenheit.
Mitunter merkte er im Gespräch gar nicht, dass Mitternacht vorüber war. Machte
ihn einer der Gäste vorsichtig darauf aufmerksam, so pflegte er auf den Unterschied
im Längengrad hinweisend zu sagen: "In Rom ist es noch nicht 12 Uhr. Für mich
als Geistlicher gilt Rom als Zeitmesser. Ihr anderen könnt euch meinetwegen
nach der Kirchenuhr hier richten, die für mich aber nicht gilt." Wenn nach beendetem
Tarockspiel die Mitspieler ihr Geld zählten und jeder von ihnen gewonnen haben
wollte, meinte der Herr Dechant, indem er von dem mitgebrachten Haufen Kupfergeld
den spärlichen Rest einstrich: "Und ich gewinne auch noch etwas." Lächelnd verließ
er daraufhin das Lokal und schritt nachdenklich seiner Behausung zu.
Auf sein Äußeres verwendete er keinerlei Sorgfalt. Absonderlichkeiten in
seiner Kleidung war man gewöhnt. Dennoch erregte es allgemeines Aufsehen, als
er an einem strahlenden Maiensonntage in einer neuen Hose erschien. Diese Hose
aber war eine Kuriosität. Das eine Hosenbein lang, wie eine Schleppe, das andere
aber reichte knapp bis zum Knöchel. Der Urlasmüller wollte das Geheimnis der
Hose ergründen und fragte abends im Gasthause ganz harmlos: "Ich weiß nicht,
Herr Dechant, war es Wirklichkeit oder habe ich mich nur getäuscht, das eine
Hosenbein ihrer neuen Hose schien mir ein ganzes Stück kürzer zu sein als das
andere." Der Dechant drehte sich zum Urlasmüller und sagte gleichgültig: "Das
kann schon sein, dass das eine Hosenbein zu kurz war. Die Hosen waren zu lang.
Da hat' ich ein Stück abgeschnitten und zur Brigitte gesagt, sie solle weitermachen.
Das telsche Ding hat aber noch ein Stück vom selben Hosenbein abgeschnitten
und so das eine Hosenbein viel zu kurz gemacht. Das tut aber nichts. Nächste
Woche kommt das andere Hosenbein auch dran." Alles lachte, und Dechant Kröhn
lachte herzlich mit.
Als ihn in seinen letzten Lebensjahren häufig Schmerzen im Knie plagten, pflegte er über die Hosen ein dickes Wolltuch zu binden, von dem die Zipfel weit herunterhingen, und pflegte so im Dorfe herumzugehen.
An seinem Geburtstage wollte er mit drei jungen Freunden ins Gebirge wandern.
Als ihn nach dem Frühgottesdienste die drei abholten, vermisste er sein Collare,
das Brigitte in der Wäsche hatte. Sofort musste sie es holen. Als sie das tropfnasse
Collar vorsichtig mit zwei Fingern hereingetragen brachte, riss er ihr es aus
der Hand, drehte es zusammen, quetschte es aus und band es um, wobei er vor
sich hinmurmelte: "Untares Frauengezimmer!" Nun ging die Reise los. Sie führte
über den Riesengrund hinauf zur Riesenbaude, von da zur Schneekoppe und Wiesenbaude.
In deren Nähe war eine hölzerne Wasserrinne und ein großer Wassertümpel, über
den ein Brett gelegt war. Die jungen Leute sprangen lachend über die Rinne und
wurden vom Herrn Dechant verwarnt, dies zu unterlassen, da sie sich leicht einen
Fuß brechen könnten. "Es ist sicherer, über das Brett zu gehen", sagte er und
tat es. In der Mitte angelangt, entschwand er plötzlich den Blicken seiner Begleiter.
Das Brett war umgekippt und der Herr Dechant in den Tümpel gestürzt. Ganz durchnässt
und verschmutzt wurde er herausgezogen und erreichte pudelnass die Wiesenbaude.
Hier besah er sich von oben bis unten; und noch immer nach Luft schnappend meinte
er lachend: "Das war einmal ein Pantschefall bei der Wiesenbaude." "Er zog das
nasse Zeug aus und lieh sich vom alten Wiesenmanne ein Hemd und einen bis zu
den Knien reichenden braunen Überrock sowie ein Paar Pantoffeln. In diesem fragwürdigen
Kostüm saß er bereits eine halbe Stunde mach dem Unfälle in der Gaststube vergnügt
und munter, nicht der verstohlenen Blicke der Gäste und des Kicherns der Damen
achtend, und ließ sich das Mahl und den Wein nach dem ausgestandenen Schrecken
gut munden.
Dechant Kröhn war auch eifriges Mitglied des Großaupner Gesangereines, der seine
Proben abwechselnd in den einzelnen Gasthäusern des Ortes abhielt. Einmal war
eine Meinungsverschiedenheit über die richtige Tonhöhe bei einem Liede aufgetaucht.
Da noch nicht in jedem Gasthause ein Klimperkasten stand, wie man die Klaviere
nannte, lief Dechant Kröhn nach Hause, schlug auf seinem Klavier das A an und
fortwährend a a a singend und so den Ton festhaltend, brachte er die richtige
Stimmung in die Probe.
Auf die Fastenpredigten freuten sich seine Pfarrkinder sehr, da er ein guter Prediger war und sie manches von ihm hörten, worüber sie sich ergötzten. Einmal hatte er am Sonntage vor der Faste die vorgeschriebenen Fastengebote von der Kanzel verlesen.
Indem er die Augen zukniff und mit der rechten Hand über die buschigen Augenbrauen fuhr, als wollte er eine schmerzliche Erinnerung wegwischen, sagte er: "Was ich euch noch sagen wollte; die Lawowürschte vom Meergonsflescho kennto a am Charfretich assa, denn do hots ke Flesch drenne." Dieser Ausspruch wurde bald zum geflügelten Worte im ganzen Gebirge.
Als in Königgrätz Bischof Hais gestorben war, wurde sein Nachfolger Dr. Brynich.
Damals sagte er: "Die Bischöfe in Königgrätz wern immer hitziger. Der frühere
war heiß, aber der jetzige ist brünnich (Mundart für brennend). Mit seinen Kaplänen
focht er manchen Strauß aus. Einer beschwerte sich in der Abendgesellschaft,
dass sie wohl 999 Pflichten, aber keine Rechte besäßen, und sagte: "Wir Kapläne
sind ganz rechtlose Leute." "Schon recht, schon recht", rief Dechant Kröhn,
"die Kapläne sind recht louse Leute", womit er die Lacher wieder auf seiner
Seite hatte.
In seinen Predigten liebte er es auch, derbe Ausdrücke zu gebrauchen. So sagte
er einmal, als er über das Laster der Völlerei und Trunksucht wetterte:
"Am anderen Tage möchte der Rauchfangkehrer kommen und euch das Zeug mit der
Kratze wieder rauskrehla."
Dabei aber war er ein seelensguter Mensch und ein gewissenhafter Seelsorger. Alle seine Pfarrkinder konnten sich jederzeit Rat und Hilfe bei ihm holen. Beim Hochwasser im Jahre 1897 war er einer der ersten und eifrigsten beim Rettungswerk.
Als ein Schlaganfall seinem Leben ein jähes Ende bereitete, war in seiner Pfarrgemeinde
eine allgemeine Trauer. Aber nicht nur seine Pfarrkinder, sondern auch die Sommerfrischler
von Grossaupa und alle, die ihn kannten, ehrten sein Andenken.
Heute ist unsere schöne Heimat verwaist, aber das Andenken an den Volksgeistlichen, Pfarrer Kröhn, lebt weiter im Herzen der Großaupner, mögen sie auch in alle Winde verstreut sein.